LehrerInnen denken

Sie und Du, Müllers Kuh, Müllers Esel...

 

Wie halte ich es als LehrerIn mit der Ansprache der SchülerInnen?

 

Von Eva Weskamp, Conrad Geisemann, Alexander Lambers, Meinolf Bömelburg und Uwe Böseler

 

 

Wie halte ich es als LehrerIn mit der Ansprache der SchülerInnen?  Du, Susi? Sie, Frau von Sinnen? Du, Maier? Sie, Waldemar? Ihr da hinten?

 

Jenseits aller maßlos überschätzten Konstruktivismen, Methodismen, Kooperati- und Kollaborativismen: Sprache ist verräterisch. Sie verleiht Unbewusstem, Vorbewusstem, Verdrängtem, Verschleiertem, scheinbar Gewolltem, tiefsten Überzeugungen sowie frühkindlichen Traumatisierungen Ausdruck -  hier über das pädagogische Verhältnis. Die Frage ist nur: welchen? Das wissen die Autoren dieses Textes offenbar auch nicht. Stattdessen wird ein Potpourri an Optionen vorgestellt, es ist also für jeden was dabei.

 

Hier die Autoren und ihr jeweiliger Standpunkt:

1. Eva Weskamp: Ich sieze

2. Conrand Geisemann: Ich duze

3. Alexanders Lambers:  Ich duze, obwohl ich lieber siezen würde

4. Meinolf Bömelburg: Ich sieze, obwohl ich lieber duzen würde

5. Uwe Böeseler: Ich sieze … meist

 

Eva Weskamp: Warum ich sieze

Vor genau 25 Jahren, als ich meine erste Stelle an einer Fachschule für Sozialpädagogik antrat, schrieb ich aus schierer Verzweiflung schon einmal über das Thema: „Hilfe, wie spreche ich meine SchülerInnen an?“

Damals war meine Haltung – zunächst und zumindest für mich – sonnenklar: Die Schülerinnen und Schüler waren mindestens 16 Jahre alt, einige als UmschülerInnen sogar älter als ich, die meisten von ihnen starteten in eine Berufsausbildung; was lag näher, als diesen Schritt zum Erwachsenwerden ohne Altlasten mit einem knackigen Sie und der Anrede mit ihrem Nachnamen wertschätzend zu begleiten?

Ein Lernen auf Augenhöhe mit gleichen Bedingungen: Frau Weskamp hier – Frau/Herr Müller da und das „Sie“ zwischen uns. Auch die Tatsache, dass ich die meisten SchülerInnen später in irgendeiner Einrichtung als LeiterIn wiedersehen würde, veranlasste mich zu diesem Schritt.  Eine gebrechliche Frau Weskamp kurz vor der Berentung spricht die mittelalterliche Leiterin immer noch fröhlich mit „Sandra“ und „du“ an?  Nee! Und das Sie in Verbindung mit dem Vornamen schien mir damals ein fauler Kompromiss zu sein.

Die Idee, Schülerinnen und Schüler mit Nachnamen anzureden, habe ich nicht durchsetzen können. „Wenn Sie Frau Müller sagen, denke ich immer, meine Mutter sitzt mit im Klassenraum“, beschwerte sich einmal eine Schülerin. Zu kalt, zu abweisend, zu distanziert. Da konnte ich mir den Mund fusselig reden, dass ich es doch nur gut meinte. In meiner Verzweiflung war ich schon fast soweit, gleich allen das Du anzubieten, das war mir allerdings  etwas zu plump. Wobei es zu dieser Zeit nicht wirklich unüblich war, dass einem nach einem Jahr eine Klasse mit angehenden Heimerziehern freundlich das Du anbot: „Nicht, Eva, können wir doch langsam machen!?“

Mit zunehmendem Alter und wechselndem Zeitgeist komme ich nur noch selten in diese Situation. Aber dem Siezen von Schülerinnen und Schülern bin ich treu geblieben, als Kompromiss allerdings in der eigentlich ungeliebten Vornamen-Version, dem sogenannten „Hamburger Sie“. Das finden die meisten am Anfang schon schlimm genug. Und damit meine SchülerInnen auch dieses nicht abwertend verstehen, versuche ich es besonders nett klingen zu lassen, bastele als Klassenlehrerin Adventskalender für die Beziehung und vertraue darauf, dass sie es später als Wertschätzung verstehen, als bewusste Aufforderung, nicht mehr Kind zu sein und Verantwortung für sich zu übernehmen. 

Nur das „Ihr“, das Plural-Du sozusagen, das wir auch aus dem Sport oder Theater-Kurs kennen, das rutscht mir immer wieder heraus. „Guckt doch mal, ob jemand von euch vielleicht das Klassenbuch eingesteckt hat!“ „Stellt euch mal vor….“    „Könnt Ihr mal eben…..?“  Das ist eigentlich unlogisch, für mich gefühlsmäßig aber stimmig.

Das Problem, später SchülerInnen in verschiedenen Einrichtungen als Kollegen und Kolleginnen wiederzutreffen, d.h. Frau Weskamp hier – Sandra/Tim dort, auch wenn nun dazwischen ein Sie steht -  ist damit natürlich noch nicht vom Tisch… Wenn wir beruflich zusammenarbeiten oder privat miteinander zu tun haben, dann muss dieses Problem m.E. beseitigt werden, weil wir in neuen Rollen voreinander stehen. Kommt es später aber bei kurzen Treffen in Schulkontexten zu einer solchen Schieflage, dann lasse ich sie stehen.

Letztens traf ich zufällig einen meiner ehemaligen Lehrer wieder, nennen wir ihn Herrn Meyer. Von der  5. Klasse bis zum Abitur hatte ich immer wieder bei ihm Unterricht. Er war mir in bester Erinnerung geblieben, ich freute mich, dass er mich erkannte und selbstverständlich mit Vornamen ansprach. Ob er mich dabei duzte oder siezte – weiß ich nicht mehr. Das ist eigentlich auch egal, denn wir begegneten uns in den alten Rollen wieder, im Kontext „Schule“, mit einem rückwärts gerichteten Blick. Es ist nicht davon auszugehen, dass wir uns demnächst in einem Chor oder einer Rückenschule regelmäßig sehen. Wenn wir uns vielleicht bei einem Abitreffen begegnen, Herr Meyer, dann bin ich gern wieder „Eva“ für Sie, mit oder ohne du, aber nicht mehr  „Eva-Maria“, denn so hieß ich nur, wenn ich etwas angestellt hatte – und aus diesem Alter, Herr Meyer,  sind wir ja wohl langsam heraus, oder?

 

Cornrad Geisemann: Warum ich duze

Warum ich meine Schüler/-innen duze? - Weiß nicht; mach' ich einfach. Hab' ich schon immer so gemacht. Seit über dreißig Jahren. Es hat mir nicht geschadet. Meinen Schülern/-innen und Studierenden auch nicht. Es bringt mich näher an die Schülerschaft heran. Ich fühle mich dadurch besser, jünger, zugewandter.

Nach Watzlawick besitzt jede Kommunikationssituation einen Inhalts- und Beziehungsaspekt. In einer Unterrichtssituation, einem typischen Lehr-Lern-Arrangement, übermittelt der Lehrende also nicht nur reine Sachinformationen, sondern teilt der Lerngruppe auch immer etwas über die Beziehung zu ihr mit. Ich bilde mir ein, das Unterrichtsklima durch das Duzen angenehmer und vertrauensvoller zu gestalten. Das Duzen ist gleichsam die praktische Manifestation meiner pädagogischen Grundhaltungen: Akzeptanz, Authentizität und Empathie.

Das Schlimmste an der heutigen Jugend ist, dass man nicht mehr dazugehört. Als ältere Lehrkraft hole ich mir allerdings durch das Duzen meiner Schüler/-innen ein Stück Jugendlichkeit zurück: Ich bin locker; ich bin cool; ich bin hip.

Ich duze auch deshalb, weil ich als Lehrperson nicht antiquiert erscheinen möchte, denn der Trend geht weltweit eindeutig zum Du:
- Auf Island duzt heutzutage jeder jeden und man redet sich mit Vornamen an.
- In Schweden gilt das Duzen für prinzipiell alle. Außer der Königsfamilie.
- In Österreich sagt man "Griaß di" oder "Griaß euch".
- Im englischen und angloamerikanischen Sprachraum hört man zunehmend: "You can say you to me."
- Bei Ikea gehört das generelle Du schon seit Jahren zur Firmenkultur - sogar die Kunden werden geduzt, was das Zeug hält.
- In der SPD wird geduzt - unter den Genossen.
- Es gibt das Gipfel-Du - ab 1000 Meter über dem Meeresspiegel.
- Und das Kassiererinnen-Du: "Frau Müller, komm mal eben zur Kasse 1."

Gar nicht arrangieren kann ich mich mit den so oft praktizierten 'halben Sachen': "Kevin, haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht?" - Das geht ja gar nicht. Entweder Vorname und Du oder Herr/Frau Nachname und Sie.

In einem Zeitungsartikel las ich kürzlich, das Duzen könne peinlich und aufdringlich sein; das Siezen habe unseren Respekt und Schutz verdient. Ich halte es da mehr mit Lena Meyer Landrut: "Wozu in die Distanz gehen, wo wir doch alle ein Bedürfnis nach Nähe haben."

Bleibt die Frage, ob die Schüler/-innen mich auch duzen. - NEIN, natürlich nicht.

 

Alexander Lambers: Warum ich duze, obwohl ich lieber siezen würde

In der Erwachsenenbildung, in der wir uns ja bekanntlich am Berufskolleg befinden, sollten wir unseren Schülerinnen und Schülern und Studierenden das Gefühl geben, dass sie erwachsen sind und von uns Lehrern auch als Erwachsene wahrgenommen werden. Dies soll auch durch die Anrede deutlich werden und folglich werden die Schülerinnen und Schüler gesiezt. Punkt.
Wie ich erfahren durfte, ist es so einfach jedoch nicht! In der Lehrerausbildung wird einem nahegelegt, die Schüler/innen zu siezen, was sich für mich zunächst auch als unproblematisch erwies. Doch nach und nach durfte ich immer wieder erfahren, dass viele SchülerInnen das gar nicht so gerne möchten. Immer wieder wurde ich mit der Frage konfrontiert: „Können Sie uns nicht einfach duzen?“ oder auch: „Wir fühlen uns total alt und finden es irgendwie auch komisch, wenn Sie uns die ganze Zeit siezen!“. Während ich in der Lehrerausbildung standhaft blieb, knickte ich in meinem ersten Berufsjahr schnell ein. Vor ziemlich genau zwei Jahren bat mich eine Klasse inständig darum,  geduzt zu werden. Ich hörte wieder das Argument: „Soo alt sind wir ja nun echt noch nicht, Herr Lambers!“. „Erstmal nicht so ernst nehmen und weiter siezen“, dachte ich mir. Doch auch weitere Klassen machten den großzügigen Vorschlag, dass ich sie auch gerne duzen könne und ihnen das eigentlich auch lieber wäre! Ein Prozess des Nachdenkens setzte ein. Ich überlegte, ob es denn wohl offensichtliche Nachteile geben würde, wenn ich zum „Du“ wechselte. Dass meine Autorität darunter leiden würde, hatte ich nicht befürchtet. Darin, dass ich den Schülern dadurch eventuell zu „nahe sein“ könnte und zu „kumpelig“ wirke, sah ich ebenfalls keine große Gefahr. Einzig, dass sie zu akzeptieren haben, dass sie nun erwachsen sind oder sich zumindest auf dem Weg dorthin befinden, wäre ein Grund am „Sie“ festzuhalten. Aber das „Siezen“ zur Maxime zu machen erschien mir auch übertrieben. „Warum also aus Prinzip am „Sie“ festhalten und nicht drauf pfeifen?“, dachte ich mir, „dann duze ich halt… wenn es doch der gemeine Schülerwunsch ist…“. Ich wechselte also die Anrede. Nicht gerade aus Überzeugung, sondern eher aus Pragmatismus. Im Grunde auch um diese Unterrichtsstörungen „Sagen Sie doch einfach du!“, „Warum siezen Sie uns?“, „Duzen Sie uns ruhig!“… zu vermeiden!

Wenn pragmatisch, dann auch konsequent: Ich ging in allen Klassen zum „du“ über! Auf einen Mischmasch hatte ich keine Lust. Die Forderung, doch bitte gesiezt zu werden, habe ich interessanterweise seitdem noch nicht einmal gehört und trotzdem frage ich mich manchmal, ob ein „Sie“ nicht doch auch Vorteile hätte. Gerade bei Praxisbesuchen fällt mir das besonders stark auf. Dort sitze ich in den Einrichtungen und duze die Studierenden, sieze die Praxisanleitungen und Mitarbeiter und werde von diesen selbstverständlich auch gesiezt. Die Praxisanleitung und die Studierenden „duzen“ sich in der Regel untereinander, nur zwischen Lehrer und Studierendem ist hier dann ein Ungleichgewicht vorhanden: Ich werde gesiezt und duze aber - zwar offensichtlich gewünscht, aber so das Wahre ist das doch irgendwie nicht! Und was passiert denn, wenn meine jetzigen Studierenden in zwei bis drei Jahren Praxisanleiter/innen sind? Spätestens dann wird es schräg – es sei denn, ich biete einfach das „Du“ von meiner Seite aus an, was sicher auch eine Möglichkeit ist. Ein konsequentes „Sie“ würde die Sache vermutlich aber doch vereinfachen. In meiner Vorstellung werde ich die Rolle rückwärts wagen – auf einen bestimmten Zeitpunkt mag ich mich aber irgendwie noch nicht festlegen. 

 

Meinolf Bömelburg: Warum ich sieze, obwohl ich lieber duzen würde

Seit dem 01. Februar 2001 sieze ich alle Schülerinnen und Schüler, und das kam so:

Ich übernahm zum neuen Halbjahr von einem Kollegen eine Klasse 11 des beruflichen Gymnasiums, wurde folglich zum ersten Mal in der gymnasialen Oberstufe eingesetzt. Schlichte Gemüter könnten nun auf den Verdacht kommen, ich sei infiziert gewesen von dem immer wieder kolportierten, angeblichen Tafelsilber, wenn nicht gar der Königsdisziplin „berufliches Gymnasium“. Ich sei also in Ehrfurcht erstarrt und als Folge auf das „Sie“ umgestiegen. Weit gefehlt – gerade in der Schule bin ich zutiefst überzeugt von dem Ideal einer klassenlosen Gesellschaft! (Andererseits: eine Schule ohne Klassen???) Wie auch immer, mein Schwenk hatte andere Gründe. Am ersten gemeinsamen Schultag bat mich die Klasse, sie weiterhin – so wie mein Vorgänger auch – zu duzen. Sie seien das so gewohnt, es sei unkomplizierter und für sie viel leichter. Ich habe ihnen dann folgenden Vorschlag gemacht: Wir sollten diese Frage als pädagogische betrachten. Ich würde sie siezen, und wenn sie am Ende der 13 immer noch der Überzeugung seien, „duzen“ wäre besser gewesen, dann würde ich mein Konzept wieder ändern. Nach zweieinhalb Jahren reflektierten wir vereinbarungsgemäß die Anredeform, das Ergebnis wird den Leser nicht überraschen:  Alle Schüler und Schülerinnen der Lerngruppe hatten im Laufe der Zeit die Überzeugung gewonnen, die formelle Anrede mit dem „Sie“ habe sich als gewinnbringend erwiesen. Sie fühlten sich als Erwachsene, neu wertgeschätzt, das Duzen berge die Gefahr des „von oben Herab“ oder des Kumpelhaften, beides sei aber dem Lehrer-Schüler-Verhältnis in der Sekundarstufe II nicht angemessen.

Meine Entscheidung stand fest: Ich würde beim Siezen bleiben.

Bis zum 22. November 2014. An diesem Bacabal-Solidaritätstag besuchten viele Ehemalige die Hildegardisschule, unter anderem auch eine ehemalige Schülerin aus dem oben erwähnten Kurs. Wir unterhielten uns lange im Foyer der Schule, sie war mittlerweile Referendarin und hatte viel zu erzählen. Während des Gesprächs wurde ich zunehmend unruhig, fahrig, zerdrückte einen Plastikbecher, wippte von einem Bein auf das andere, ohne dass mir zunächst der Grund dafür klar war.

Ein Jahr später dann kam die Erleuchtung. Bei einem Praxisbesuch einer Berufspraktikantin traf ich eine ehemalige Schülerin aus meiner ersten Klasse als Klassenlehrer an der Hildegardisschule. Sie war mittlerweile vermutlich Mitte 40 und gestandene Leiterin der Kita, ich näherte mich der 60. Wie sollte ich sie ansprechen? Etwa mit Vornamen und „Sie“? Peinlich, unpassend, verdreht. So ähnlich war es mir bei dem Bacabal-Tag offenbar auch gegangen, unbewusst brachte mich die Anrede-Problematik in Verlegenheit, ich spürte das Unbehagen, da das pädagogische Verhältnis nicht mehr bestand, die unterschiedlichen Anredeformen für die ehemalige Schülerin und mich dieses aber suggerierten.

Um dieses Problem nun ein für alle Mal zu lösen, schlage ich Folgendes vor: Mit dem letzten Schultag endet das pädagogische Verhältnis. Danach können die Ehemaligen einfach machen, was sie wollen – natürlich auf der Basis unserer zivilisatorischen Errungenschaften, dem Fortschritt und der Vision einer klassenlosen Gesellschaft verpflichtet!

Ich tu´s dann auch.

 

Uwe Böseler: Warum ich meistens sieze, gelegentlich duze

Die Anrede von Schülerinnen mit „Du“ oder mit „Sie“ ist eine symbolische Handlung mit pädagogischen Konsequenzen, derer man sich bewusst sein sollte. Zwei Erlebnisse haben meine Einstellung zum Siezen/Duzen von Schülerinnen geprägt.

Das erste Erlebnis stammt aus meiner eigenen Schülerzeit.  Noch am letzten Schultag der Klasse 10 war ich für meinen damaligen Deutschlehrer „Uwe, Du ...“, am ersten Schultag der Klasse 11 hieß es „Herr Böseler, Sie ...“. Erst fand ich das ziemlich affig, doch irgendwann konnte ich diesem symbolischen Akt etwas abgewinnen. Von nun an waren wir für unser Lernen und unseren Lernerfolg weitgehend selbst verantwortlich (zumindest war das der Anspruch), und diese Verantwortlichkeit und der damit verbundene Respekt drückten sich in der eher formalen Anrede aus.

Das zweite Erlebnis hatte ich als Klassenlehrer vor einigen Jahren. Nach ein paar Monaten fragt man seine neue Klasse, wie es denn so in der Hildegardisschule gehe, wie die Schülerinnen sich so fühlten, ob man etwas ändern solle etc. pp. Schließlich legen wir Wert auf unseren zugewandten Umgang miteinander. Und diese Klasse war nun sichtlich eingeschüchtert und fühlte sich irgendwie von der Schule nicht angenommen und schien emotional unbehaust. Insbesondere wurde das am Verhalten der Deutschlehrerin (wieder Deutsch!) festgemacht, die auf ein sehr distanzierendes „Sie“ Wert legte. Die Schülerinnen waren von der Realschule gewohnt, dass die Lehrer sich um sie kümmerten und ihr Lernen zugewandt begleiteten, und gerade diese Lehrerin schien das in den Augen der Schülerinnen beinahe schroff zu verweigern. Das beeinträchtigte die Schülerinnen offensichtlich in ihrem Lernen. Schule machte keine Freude mehr. Der Sprung in die Verantwortung war zu groß.

Der Widerspruch ist kaum lösbar: Auf der einen Seite wollen wir, dass die Schülerinnen selbst Verantwortung für ihr Lernen übernehmen, und wir wollen sie als junge Erwachsene wertschätzen und respektieren. Also: eher „Sie“. Auf der anderen Seite gibt es die pädagogische Beziehung, die Bindung zwischen Lehrerinnen und Schülerinnen, die ein Lernumfeld schafft, in dem sich die Schülerinnen emotional aufgehoben, schlicht: wohl fühlen, und das ihr Lernen fördert. Also: eher „Du“.

Ich habe versucht diesen Widerspruch aufzuheben, indem ich die Rolle der Klassenlehrerin betont habe. Die Klassenlehrerin ist erste Ansprechpartnerin für die gesamte schulische Ausbildung. Damit hat sie eine besondere Bedeutung für die Schülerinnen. Ich habe die Rolle dann so interpretiert, dass ich als Klassenlehrer eine Art emotionales Bindeglied zwischen Schülerinnen und Lehrerinnen darstelle, also auch symbolhaft für das Angenommensein und Wohlergehen an der Hildegardisschule zuständig bin. Und das geht halt einfacher mit dem „Du“.

In der Praxis läuft das dann so, dass ich meine (jeweils neue) Klasse frage, ob sie von mir lieber geduzt oder gesiezt werden will.  Bis jetzt lief es immer auf das Duzen der SchülerInnen hinaus. Die Lehrerrolle gebietet es übrigens, dass das Duzen einseitig bleibt. In meiner Rolle als Fachlehrer in anderen Klassen bleibe ich konsequent beim „Sie“. Hier steht die Selbstverantwortlichkeit der Schülerinnen im Vordergrund.

Nun ist selbstverständlich der Einwand berechtigt, dass man auch mit einem „Du“ distanziert sein und auch für Menschen, die man siezt, ein emotionales Wohlbefinden schaffen kann.  Natürlich geht das. Und ich würde meine Sichtweise auch nicht verallgemeinern wollen. Außerdem möchte ich mich auch nicht als Wohlfühl-Onkel missverstanden fühlen.

Aber ich habe mit meinem Verfahren gute Erfahrungen gemacht und die Schülerinnen offensichtlich auch. Bis jetzt habe ich in den verschiedenen Feedback-Runden nicht wieder eine Rückmeldung wie die oben geschilderte erhalten. Also, wie der Fußballphilosoph es einmal sagte: „Entscheidend is aufm Platz.“