SchülerInnen denken

Abschiedsbrief

 

Von Melanie Wendker (AHR12c)

 

Liebe Mathematik,

es geht so einfach nicht mehr weiter. Zumindest nicht mit uns.

Es tut mir leid, aber ich mache Schluss. Aus und vorbei.

Es liegt nicht an dir, es liegt an mir. 

Es ist einfach nicht mehr das, was es mal war. Und es war auch nie viel mehr als das, was es ist.

Und was ist es?

Funktionen statt Liebe und Verzweiflung statt Verständnis.

Wir sind verschieden, so verschieden wie Plus und Minus, wie Quader und Kegel, wie Produkt und Quotient.

Du engst mich ein, lässt mir keinen Raum für eigene Lösungen und eigene Ansichten.

Aber sind es nicht gerade die eigenen Ansichten, die so wichtig sind?

Diese vorgegebenen Lösungen, Lösungen auf die ich sowieso nicht komme, das ist nichts für mich.

Dabei fing es doch so gut an. Alles war gut früher. 

Früher, als unsere Beziehung noch auf Zahlen basierte und nicht auf Buchstaben.

Das hat es total verkompliziert, weißt du?

Die Probleme unserer Beziehung fingen an, als X verschwand und du dich nur noch dafür interessiert hast, es zu suchen.

Ich will ja nicht sagen, ich wäre eifersüchtig, aber das hat mich schon verletzt.

Und was hat es gebracht? Du suchst es immer noch.

Manchmal muss man einfach der Wahrheit ins Auge blicken.

Und die Wahrheit ist: X ist weg. X kommt nicht mehr wieder. Komm damit klar.

Aber das war nur der Anfang unserer Probleme.

Dann kamst du nämlich mit Funktionen an.

Funktionen…. Hat das nicht eigentlich was mit funktionieren zu tun? Tja, bei mir nicht.

Ich meine, ich bin auch nicht perfekt. Ich weiß.

Zum Beispiel hinterfrage ich jeden Scheiß.

Wenn du sagst „das ist so!“ frage ich: „warum“?

Ich diskutiere halt lieber, statt Dinge einfach hinzunehmen.

Und ja, ich weiß, ich verliere schnell die Geduld und die Motivation,

aber du machst es mir auch echt nicht leicht, mich mit dir zu beschäftigen!

Tja …. Was soll ich sagen?

Wir haben auch einfach komplett verschiedene Vorstellungen von der Zukunft.

Das klingt jetzt vielleicht hart, aber ich kann auch ohne dich leben.

Es tut mir leid das zu sagen, aber ich brauche dich einfach nicht.

Deine Begeisterung für Integralrechnung hab ich noch nie verstanden.

Auch binomische Formeln hinterlassen in meinem Kopf mehr Fragen als Antworten.

Wofür ist das gut? Wer hat sich das ausgedacht? Warum ist das alles so schwierig?

Meine Liebe für Geometrie hält sich auch eher in Grenzen.

Mathe, du bist für mich einfach wie chinesische Zeichen – verdammt kompliziert.

Das größte Rätsel aber lautet

Formel

 

Wofür ich das mal brauche, weißt wahrscheinlich nicht mal du.

Ich mein ja nur, wer weiß das schon?

Wann hilft mir die quadratische Funktion?

Und – auch das weckt meine Wut,

wozu sind Vektoren gut?

Liebeskummer, Autopanne und anderer Mist,

ich weiß nicht, für was davon Mathe die Lösung ist.

Also mal ehrlich, was bringt mir der ganze Quatsch?

Der Moment, in dem ich denke „Boah, jetzt ne Kurvendiskussion, das wärs!“  wird niemals kommen.

Für meine berufliche Zukunft bist du leider auch nicht besonders hilfreich.

Dort werde ich nämlich weder irgendwelche Volumen berechnen, noch komische Gleichungen lösen.

Auch als Smalltalk-Thema eignest du dich leider nicht.

Zumindest höre ich selten Menschen über Matrizen oder Differentialrechnung reden.

Klar, du hast nicht nur Schwächen.

Und wir hatten auch gute Zeiten.

Prozent- und Bruchrechnung, Statistik, Stochastik,

das sind die Dinge, die ich an dir schätze.

Aber das reicht nicht, um die Probleme zu überdecken.

Du raubst mir meine Zeit, meine Nerven, meinen Schlaf,

du addierst, dividierst, subtrahierst,

bis du den Bezug zur Realität verlierst,

und mich vollkommen verwirrst.

Ich kann dich mir auch nicht mehr länger schöntrinken, das überfordert einfach meine Leber.

Weißt du, ich bin ja eigentlich eine sehr Tolerante,

doch dieser Schlussstrich muss sein.

Wir können ja Freunde bleiben, oder – besser noch – Bekannte.

Und so lasse ich dich auf der Suche nach X allein...