Schule lebt

„Den Frühling entdecken“ als Online-Projekt in einer Kita?

von Lara-Sophie Thies

Die Ausbildung zur Staatlich Anerkannten Erzieherin setzt sich aus zwei Jahren Schule und einem Anerkennungsjahr zusammen. In diesem dritten Jahr sollen die Auszubildenden den normalen Alltag in ihrem Berufsfeld noch näher kennenlernen und die gelernte Theorie mit den Erfahrungen aus der Praxis verknüpfen.

Das Erste, was man lernt, ist: Es gibt keinen normalen Alltag!  Jeder Tag ist individuell und demnach sind an jedem Tag Improvisationstalent und Flexibilität gefragt. Die letzten Anerkennungspraktikant*innen aus dem Jahrgang 2019/2020 mussten dies allerdings unter besonderen Voraussetzungen unter Beweis stellen. Sie mussten sich nicht nur mit den alltäglichen Hürden ihres Berufes und ihren Schulaufgaben, sondern auch mit dem COVID-19-Virus auseinandersetzten.

Ab dem 16. März 2020 waren alle Kita-Türen geschlossen. Das Problem daran für die Anerkennungspraktikant*innen: Die Schulaufgaben bleiben bestehen. Somit auch die Aufgabe ein Projekt mit den Kindern durchzuführen und dies zu dokumentieren.  Ein Projekt mit Kindern in einer aufgrund des Coronavirus´ geschlossenen Kita durchführen? Klingt unmöglich, ist es heutzutage aber nicht mehr.

Hier beginnt meine Geschichte über ein Online-Projekt zum Thema Frühling in Zeiten von Corona.

Ich arbeite in einer Kinderland-Einrichtung in Greven und wollte mein Projekt zusammen mit einer Gruppe von Kindern am 16. März starten. Wir wollten zusammen den Frühling und alles, was er mit sich bringt, entdecken. Die Nachricht über die Schließung aller Kindergärten und dann auch noch an dem Tag, an dem mein sehr gut vorbereitetes Projekt starten sollte, hat mich erstmal sehr geschockt. Dann waren die Flexibilität und das Improvisationstalent gefragt.

So bin ich nach einigen Überlegungen darauf gekommen das Projekt online stattfinden zu lassen. So fand unsere Kommunikation nicht mehr im Kindergarten statt, sondern über Telefonate, Videobotschaften, Videoanrufe, Briefe, Pakete und E-Mails.

Wir starteten das Projekt an einem Montag mit einem Spaziergang. Die drei Kinder im Alter von im Schnitt 2;3 Jahren schnappten sich ihre Eltern und gingen in die Natur. Ausgestattet mit einem Eimer und Lupen, welche ich am Morgen vor ihrer Haustür abgelegt hatte, sammelten und fotografierten sie alles, was auf den Frühling hinwies. Am Nachmittag trafen wir uns dann online. Wir saßen alle vor unseren Kameras und unterhielten uns über den Frühling, über ihre Entdeckungen und ihre Fotos.

Am nächsten Tag gestalteten die Kinder zuhause ein Frühlingsbild aus den am Vortag gesammelten Spuren des Frühlings.

Der Mittwoch begann mit einem Videoanruf. Zuerst forderte ich die Kinder auf, sie sollen doch mal vor Ihre Haustür gehen. Dort stand ein Paket für sie. Im Inneren befand sich alles, was eine Pflanze zum Wachsen benötigt, vom Blumentopf zur Blumenzwiebel bis hin zur symbolischen Sonne. Gemeinsam besprachen wir, was eine Pflanze benötigt, und parallel dazu durften sie die passenden Utensilien aus dem Paket nehmen und das Besprochene in die Praxis umsetzen. In dem Gespräch sind auch die Bienen zum Thema geworden. Somit war das Thema des vierten Projekttages klar.

Der Donnerstagmorgen, der vierte Projekttag, begann mit einer Videobotschaft und einem Paket vor der Tür. Ich erklärte in diesem Video, wie man ein Insektenhotel bastelt. In dem Paket befanden sich alle nötigen Utensilien. Am Nachmittag trafen wir uns dann erneut zu einem Videoanruf. Hier sind wir dann von den Bienen beziehungsweise von den Insekten zu den Vögeln gelangt, da ein Kind anmerkte, dass Vögel Insekten essen und ihre Küken mit ihnen füttern.

Am Freitag, dem letzten Projekttag, haben wir uns also mit Vögeln beschäftigt. Vor der Tür der Kinder stand wieder ein Karton. Der Inhalt war ein Vogelhaus, welches die Kinder mit ihren Eltern Zuhause gestalten konnten. Zum Abschied haben wir uns nochmal zu einem Videoanruf getroffen, um die Woche abzuschließen.

In den nächsten Wochen habe ich dann regelmäßig weitere Fotos und Nachrichten von den Familien erhalten. Sie haben das Projekt weitergeführt und viele weitere Dinge unternommen, was mich sehr gefreut hat.

Dieses Projekt war eine ganz besondere Erfahrung für mich. Außergewöhnlich und für mich sehr ungewohnt war es, meist nicht selbst mit den Kindern arbeiten zu können. Ich habe mich um die Organisation und den Zusammenhalt der einzelnen Angebote gekümmert. Die Durchführung habe ich, anders als sonst im Rahmen einer Projektarbeit, in weiten Teilen in die Hände der Eltern gelegt.

Dadurch habe ich ein großes Stück an Kontrolle verloren. Für mich war das anfangs nicht leicht, da ich persönlich gerne immer alles im Griff habe. Doch mit der Zeit gewöhnt man sich daran und erkennt schnell einen großen Vorteil: Durch die Abgabe der Aufgaben an die Eltern hat man einen anderen Blick auf die Kinder. Einen distanzierteren Blick, durch den man sehr gut beobachten kann. Schwer war für mich auch das Projekt nicht gut im Voraus planen zu können. Allein schon unter dem Gesichtspunkt, dass es online stattgefunden hat, war das kaum möglich. Fragen wie „Funktioniert das Internet bei allen?“ oder „Schaffen es alle sich in die Videokonferenz einzuloggen?“ musste ich mir zuvor nie stellen. Ich habe durch das Projekt gelernt, dass Organisation und Planung sehr wichtig sind. Aber es muss nicht bis in das kleinste Detail alles feststehen. Ein fester Rahmen sollte gegeben sein, und in diesem Rahmen sollte man sich dann an den Interessen der Kinder orientieren.

Im Allgemeinen war es aber die „private“ Atmosphäre, die das Projekt so besonders gemacht hat. Die Kinder befanden sich in ihrem Zuhause, in der Gemeinschaft ihrer Familie. Ich konnte einen Einblick in Ihr Privatleben erhalten, welchen ich sonst nie hätte bekommen können. Ein Kind, welches sonst oft sehr verunsichert ist vor anderen zu sprechen, hat mir plötzlich so viel erzählt. Aus diesen Gesprächen und der gemeinsamen Zeit, die wir virtuell zusammen verbracht haben, sind intensivere Beziehungen entstanden. Beziehungen, die sonst während der Zeit, in der die Einrichtung geschlossen hatte, gelitten hätten. Besonders der Kontakt zu den Eltern hat auf einer ganz anderen Ebene stattgefunden. Im Alltag finden regelmäßige Tür- und Angelgespräche und auch Entwicklungsgespräche statt. Diese sind aber meist sehr einseitig, da wir den Eltern als pädagogische Fachkräfte etwas über Ihr Kind erzählen und die Eltern diese Eindrücke durch Erfahrungen von Zuhause ergänzen. Die Arbeit in diesem Projekt war da ganz anders. Ich konnte selbst sehen, wie sich die Kinder verhielten. Es ging also nicht um den Austausch über die Kinder, sondern um das gemeinsame Erarbeiten eines Projektes. Die Kommunikation zwischen den Eltern und mir fand demnach auf einer ganz anderen und viel „privateren“, aber auch intensiveren Ebene statt.

Das sind viele positive Effekte, die mich im Nachhinein sagen lassen, dass unser Projekt ein voller Erfolg war. Es ist mit viel Arbeit, Organisation und Vorbereitung verbunden, aber jede einzelne Minute hat sich für mich gelohnt.