Lehrer*innen denken

Brandherd Hildegardisschule

von Meinolf Bömelburg

 

Binsenweisheiten

Beginnen wir mit einer Binsenweisheit: Schule ist – im metaphorischen wie im materiellen Sinne - ein pädagogischer Raum, in dem eine Dienstleistung erbracht werden soll; diese Dienstleistung besteht darin, Schüler*innen auf ihrem Weg in die Mündigkeit zu unterstützen, anzuleiten, zu beurteilen.
Im Idealfall bekommt die Schule dabei Unterstützung von anderen Dienstleistern, die Rahmenbedingungen schaffen, in denen sich „das Pädagogische“  produktiv entfalten kann.
Hier soll an einem kleinen Beispiel illustriert werden, warum das gelegentlich nicht klappt – und woran das liegen könnte.

   
The Day After

Lehrer*innen, Schüler*innen und allen Gästen, die am 11. Januar 2019 das Schulgebäude der Hildegardisschule betraten, bot sich ein erstaunliches, für viele erschütterndes Bild:  Alle Lerninseln, Sofas, Stühle – also alles das, was dieses Haus wohnlich, lebendig gemacht hat - waren aus den Fluren bzw. Hallen entfernt worden, zahlreiche Bilder waren von den Wänden verschwunden. Was war passiert?

Eine Brandschutzkommission hatte am Vortrag die Schule durchforstet und Anweisung erteilt, alles Mobiliar aus den Foyers, Hallen und Treppenhäusern zu entfernen, und zwar innerhalb der nächsten drei Stunden. Der Schulleitung gelang es, die Frist um 16 Stunden zu verlängern, die Kommission kündigte ihr erneutes Erscheinen für den kommenden Tag zur Überprüfung der Umsetzung der geforderten Maßnahmen an. Am folgenden Morgen um 8.00 Uhr standen zwei Möbelwagen im Innenhof der Schule; jeweils vier Mitarbeiter packten ein, was nicht niet- und nagelfest war.

Der Vollständigkeit halber soll angemerkt werden, dass ein Mitglied dieser Kommission seit Jahren in ähnlicher Funktion in der Schule ein- und ausgeht, bisher aber offenbar keinen Grund für Maßnahmen gesehen hatte.
Warum das alles? Ich möchte zur Erklärung zwei Gründe anbieten, die nicht systematisch geprüft sind, aber doch eine Menge an Plausibilität beinhalten.

Alle wollen bestimmen

Im Zuge der Inspektion erkannte ein Mitglied der Kommission einen offenbar nicht den Regeln entsprechenden Mülleimer in einer Halle und nutzte diesen Fund zur Disziplinierung eines Lehrers:  Zunächst wurde der Lehrer befragt, wie er denn reagieren würde, wenn der Mülleimer in Brand gerate. Der Lehrer begegnete dieser Frage mit dem naheliegenden Hinweis, er würde sich bemühen, den brennenden Mülleimer zu löschen. Falls das nicht gelinge, würde er mit den Schüler*innen zusammen das Gebäude verlassen. Das genügte dem Kommissionsmitglied allerdings nicht: Der Lehrer wurde darauf hingewiesen, dass er ganz offenbar seiner Verantwortung als Lehrer in dieser Situation nicht gerecht werde.  
Darin deutet sich m.E. eine Haltung „von oben herab“ an, eine obrigkeitsstaatliche Attitüde des „hier bestimmen wir, ihr habt nichts zu sagen, ihr habt die Vorgaben einzuhalten.“  Eine grundlegende, ausdrückliche Form der Ignoranz gegenüber den von den tatsächlich Verantwortlichen vertretenen schulischen Belangen.  

 

Die Angst, die Angst

 

Im Zuge dieses „Rückbaus“ wurden einzelne Türen sofort mit einem neuen Schloss versehen, um sie der Benutzung zu entziehen; ausschließlich der Hausmeister bekam zunächst einen Schlüssel für diese Räume, sonst niemand, nicht einmal die Schulleitung, verbunden mit dem Hinweis auf dessen Gesamtverantwortung: „Wenn es hier brennt, dann sind Sie verantwortlich!“   Es gibt offensichtlich Herrscher in der Schule – und das ist nicht deren Schulleitung!
So kann man sich scheinbar der Verantwortung stellen, sich dieser aber in Wirklichkeit entziehen, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen das Pädagogische im Vordergrund steht.

 

Another brick in the wall

Das Kollegium reagierte auf diese Machtdemonstration mit Wut, Ratlosigkeit, Hilflosigkeit und dem Gefühl, man habe dem Gebäude, und damit in gewisser Weise auch der Schule, die Seele herausgerissen.


Die Nachfrage bei der Bauabteilung, wie es denn nun weitergehen solle, wurde mit dem Hinweis auf eine neue Brandschutzordnung und eine sich daran anschließende neue Nutzungsverordnung beantwortet – beides existiert also offenbar nicht, aber man kann ja zumindest schon mal auf der Basis dessen, was vielleicht mal irgendwann kommen wird, in vorauseilendem Gehorsam mit Verboten tätig werden…


Bisher besteht die Leistung der Bauabteilung als Folge der Misere darin, einen einzelnen Parkplatz, der – sicher aus wichtigen Gründen – nicht mehr genutzt werden darf, mit Hilfe von fünf (!!!!!) Pfeilern abzusperren.


Nun muss also vermutlich der endlos lange, steinige, kostenintensive Weg der Suche nach Kompromissen gegangen werden - der ja immerhin voraussetzt, dass diese Brandschutzverordnung, oder Brandschutzfolgeverordnung oder was auch immer erst mal verfasst wird.


Bevor also dieser Weg gegangen wird, muss, so meine ich, zumindest einmal die Empörung der Schule über dieses Vorgehen und den damit verbundenen Rückfall in den Obrigkeitsstaat, dem die Anliegen derer, die die Schule mit Leben füllen, offenbar vollkommen gleichgültig sind, zum Ausdruck gebracht werden.


Die Schule als ein Ort der Verständigung, des Interesses aneinander vor aller Belehrung, Bewertung und Leistungsanforderung hatte ihren Ort in den Hallen bzw. Foyers, in denen sich Lehrer*innen und Schüler*innen auch außerhalb des Unterrichts trafen und sich – von Außenstehenden, die die Schule als Gäste besuchten, häufig miterlebt und bewundert – ohne Ansprüche von Herrschaft, Disziplinierung, Besserwisserei als Gleichberechtigte  austauschten über Gott und die Welt, Privates und Politisches.


Wem das, was er an dieser Stelle angerichtet hat, gleichgültig ist, dem müssen wir das mit aller Nachdrücklichkeit verständlich zu machen versuchen und die Verfügungsgewalt über einen Raum zurückerobern, in dem wir Schüler*innen und Lehrer*innen arbeiten.


Vielleicht starten wir den Neuanfang mit einem für alle Beteiligten motivierenden Bild,  das einen Anfang der Wiederherstellung der Schule als Lebensraum zeigt: Zwei Minuten, nachdem die Schule in einem symbolischen Akt zumindest das Schulsofa wieder an seinen Platz gestellt hatte, das für die Schulgemeinschaft zum Symbol der Hildegardisschule geworden ist,  nahmen die ersten Schülergruppen dieses Sofa wieder in Besitz. Dort sollten wir anknüpfen.