Bildungsprozesse am Berufskolleg

Schüleraktivierendes Lehren und selbstständiges Lernen an der Hildegardisschule

Beginnen wir mit zwei in der Praxis der Schule gelegentlich vernachlässigten pädagogischen Binsenweisheiten:

 

1. Lehrerinnen und Lehrer können Schülerinnen und  Schüler nicht bilden. Das (reflexive) Verb „sich bilden“  weist darauf hin, dass sich Bildungsprozesse in der aktiven Auseinandersetzung mit einer Sache vollziehen, diese Auseinandersetzung hat das Ziel, sich selbst, den anderen und die Welt besser zu verstehen. Aus diesem Grund darf es einerseits nicht primär Aufgabe der Schule sein, Schülerinnen und Schülern Wissen „einzutrichtern“, denn dieses Eintrichtern ist kein Garant für die eigene Auseinandersetzung mit der Sache und für deren Verständnis – die eigene Erfahrung als Schüler lehrt eher das Gegenteil.

 

2. Lernkompetenz ist noch keine Bildung. Schule darf ihren Anspruch daher andererseits nicht darauf reduzieren, allen verbindlichen „Wissensballast“  abzuwerfen und statt dessen im Wesentlichen Methoden zu vermitteln, die Lernkompetenzen fördern, so lange nicht klar ist, welche „Sachen“ mit ihrer Hilfe geklärt werden sollen bzw. können -  und inwiefern die dabei eingesetzten Methoden Schülerinnen und Schülern ermöglichen, sich zu bilden.

 

Wir möchten im Folgenden erläutern, wie an der Hildegardisschule in den letzten Jahren versucht wird, Schule so zu gestalten, dass Bildungsprozesse im Sinne einer aktiven und selbstständigen Auseinandersetzung mit der Sache ermöglicht werden, und wie wir dabei versuchen, neue Methoden selbstständigen Arbeitens in Bildungsprozesse zu integrieren.

 

Ausgangspunkt der Veränderungen war eine der zentralen Aussagen des Schulprogramms, die sich auf diesen Sachverhalt bezieht und lautet: „Die Schülerinnen und Schüler sind selbstbestimmende und verantwortliche Akteure ihrer Bildung. Die Aufgabe der Hildegardisschule ist es, diesen Bildungsprozess anzuregen, herauszufordern, zu begleiten und zu unterstützen. Dies geschieht durch die Gestaltung des Bildungsganges sowie durch unterrichtliche und außerunterrichtliche Aktivitäten.“

 

Einzelne Aspekte dieser Gestaltung der Bildungsgänge möchten wir unter den Stichworten  „Gestaltung des Lernorts Schule“, „Methodentraining“ und „Lernstationen“ vorstellen.

 

Gestaltung des Lernorts Schule

 

Damit das hier geforderte selbstständige Arbeiten überhaupt möglich ist, wurden verschiedene strukturelle bzw. bauliche Veränderungen vorgenommen:

 

  • „Lerninseln“, die in allen Treppenhäusern und Freiflächen beider Schulgebäude installiert sind. Die „Lerninseln“ bestehen aus einem runden Tisch und (in der Regel) vier Stühlen und werden häufig von Schülergruppen aufgesucht, die während einer Gruppenarbeitsphase den Klassenraum verlassen, um in Ruhe ihre Aufgabe bearbeiten zu können. Selbstverständlich werden sie auch in den Pausen als Sitzgelegenheit oder Kommunikationszentrum genutzt.
  • Gruppentische in den Klassenräumen. Diese Art der Klassenraumgestaltung wird im Moment getestet und bietet sich dann an, wenn im Unterricht verstärkt mit Methoden des Kooperativen Lernens gearbeitet wird, weil es dabei immer wieder zu kurzen oder auch längeren Unterrichtsphasen kommt, in denen Partner- bzw. Gruppenarbeit praktiziert wird und somit die Schülerinnen und Schüler ohne größeres Stühle- und Tischerücken gut miteinander kommunizieren können.

 

Methodentraining

 

Die aktive und selbstständige Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit den Lerninhalten wird zudem durch ein systematisches Einüben verschiedener Methoden des selbstständigen und Kooperativen Lernens[1]gefördert. Diese Methoden sind bildungsgangspezifisch verbindlich einzelnen Fächern zugeordnet worden, in denen sie im Laufe der ersten beiden Quartale eines Schuljahres dann eingeführt werden, wenn es sich vom unterrichtlichen Zusammenhang her anbietet. (Es gibt also keinen „Methodenblock“ am Anfang des Schuljahres, weil dessen Effektivität u. E. nicht sehr hoch ist, wenn eine Methode nach der anderen „abgearbeitet“ wird, ohne dass eine sinnvolle Verortung im Fachunterricht gegeben ist.) Ein weiteres Einüben und Praktizieren dieser Methoden in allen anderen Fächern ist ausdrücklich erwünscht und kann auf einem entsprechenden Übersichtsbogen, der hinten im Klassenbuch eingeheftet ist, vermerkt werden.

 

Lernstationen

 

Mit dem Begriff des „Bildungsprozesses“ ist für uns die Idee verbunden,  dass innerhalb dieses Bildungsprozesses eine Entwicklung vollzogen wird, die ein zunehmend komplexeres und differenzierteres Verständnis der Welt (an einem Berufskolleg geht es dabei vor allem um besondere Aspekte der beruflichen Welt), des anderen und der eigenen Person ermöglicht. Um diese Entwicklungsfortschritte auch für Schülerinnen und Schüler erfahrbar und greifbar werden zu lassen, haben wir für alle Bildungsgänge an unserer Schule eine gemeinsame didaktische Struktur entwickelt: Wir haben für jeden Bildungsgang spezifische sogenannte „Lernstationen“ konzipiert, die an besonders markanten Stellen im Unterrichtsverlauf eingesetzt werden und die drei Merkmale aufweisen:

 

  • Lernstationen beinhalten Aufgaben, die aus dem von den Schülerinnen und Schülern selbst gewählten beruflichen Schwerpunkt entwickelt wurden.
  • Die Aufgaben werden weitgehend selbstständig von den Schülerinnen und Schülern  bearbeitet, sie können dort also die ihnen bekannten Methoden selbstständigen Arbeitens zur Bearbeitung eines konkreten Problems anwenden.
  • Die Bearbeitung der Lernstationen ermöglicht den Schülerinnen und Schülern einen Einblick in den Nutzen wie auch die Grenzen der bisher erarbeiteten fachlichen Erkenntnisse.

 

 

Beispielhaft sollen hier die Lernstationen im Bildungsgang „Fachoberschule“ vorgestellt werden:

 

  • eine Lernaufgabe am Beginn der Klasse 11. Diese Lernaufgabe dient unter inhaltlichen Gesichtspunkten der Orientierung im beruflichen Schwerpunkt, wobei zunächst Alltagswissen aktualisiert und auf eine Ausgangssituation angewendet wird; anschließend werden daraus am Ende der Bearbeitung Perspektiven und Fragestellungen für eine fachwissenschaftliche Erforschung der Thematik abgeleitet. Gleichzeitig soll den Schülerinnen und Schülern gleich zu Beginn ihrer Zeit an der Hildegardisschule vermittelt werden, dass die Schule von ihnen in hohem Maße selbstständiges Arbeiten erwartet;
  • eine Gruppenreflexion am Ende der Klasse 11: Hier bekommen die Lerngruppen die Aufgabe, ihre Lernerfahrungen und Erkenntnisse aus einem einjährigen Praktikum einer Lerngruppe aus einem anderen beruflichen Schwerpunkt vorzustellen. Lerngruppen aus dem beruflichen Schwerpunkt „Sozial- und Gesundheitswesen“ und Lerngruppen aus dem Schwerpunkt „Ernährung und Hauwirtschaft“ vermitteln sich also gegenseitig wichtige Eindrücke aus der Praxis;
  • eine Hausarbeit, die im ersten Halbjahr der Klasse 12 zu einem selbstgewählten Thema aus dem Bereich des Schwerpunktfaches geschrieben wird und deren zentrale Gedanken anschließend von jedem einzelnen Schüler/jeder einzelnen Schülerin im Rahmen eines Kolloquiums vorgestellt werden;
  • ein Fachprojekt; geplant ist dieses Fachprojekt als Abschluss im Bildungs-gang am Ende der Klasse 12: Ähnlich wie in der einführenden Lernaufgabe soll hier in Gruppen ein komplexes fachspezifisches Problem bearbeitet werden, das aber nun auf der Basis spezifischer fachwissenschaftlicher Erkenntnisse und der inzwischen erworbenen Lernkompetenz systematisch bearbeitet werden kann.

 

 

Veränderte Rahmenbedingungen (Selbstlernzentrum, Lerninseln, Gruppentische) und ein entsprechendes „Handwerkszeug“ (Methoden selbstständigen Arbeitens) bilden wichtige Voraussetzungen für die in der Schule intendierten „Selbstbildungs“-prozesse. Entscheidend bleibt dabei aber, dass die Schüler und Schülerinnen  unmittelbar den Gebrauchswert dieser Methoden erfahren; dazu ist es von elementarer Bedeutung, dass sie präzise im Bildungsprozess verortet sind.

 

Zu Beginn dieses Jahres haben wir in einer umfangreichen Untersuchung unser Methodenkonzept evaluiert, indem wir die Schülerinnen und Schüler um eine Bewertung der in ihrem Bildungsgang eingesetzten „klassischen“ und „neuen“ Unterrichtsmethoden baten. Wir haben herausgefunden, dass sie unser Anliegen, sie durch „neue“ Methoden kontinuierlich zum selbstständigen Arbeiten anzuleiten, wahrgenommen hatten und als sehr positiv bewerteten. Wir führen das u. a. darauf zurück, dass sie diese „neuen“ Methoden als produktiv in ihrem eigenen Bildungsprozess erlebten.

 

(Meinolf Bömelburg, Christoph Dabrowski, Hildegardisschule)

 

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[1] In der Klasse 11 der Fachoberschule sind dies beispielsweise die folgenden Methoden: Markieren; wechselseitiges Lesen und Erklären; Spickzettelmethode; Mind Map; Museumsgang. In der Klasse 12 werden dann eingeführt: Partnerpuzzle; reziprokes Lesen; Lerntempoduett.