Lehrer*innen denken

Warum den kurzen Weg nehmen, wenn es auch einen langen gibt?

Der Weg ist das Ziel – für mich nicht nur eine Phrase.

von Christian Schwarte

Apropos lange Wege. Die legt man gewöhnlich mit dem Flugzeug zurück. Im Jahr 2006, als man noch keinen Shit-Storm mit dem #Flugscham erwarten musste, kein Problem. Die Gesellschaft war noch nicht so weit, dass sie sich wirklich ernsthafte Sorgen um das Klima machte. Ich natürlich auch nicht. Ich machte mir eher Sorgen darum, wie ich meinen nächsten Lebensabschnitt gestalten sollte. Nach der Ausbildung und kurzer Berufstätigkeit als Bankkaufmann wusste ich nur, eine Karriere bei der Sparkasse sollte es nicht werden (eine gute Entscheidung, schließlich folgte bald die große Bankenkrise).

Um über meine Zukunft nachzudenken, musste ich einfach mal raus aus Münster. Ich wollte etwas anderes sehen, andere Menschen treffen und neue Erfahrungen sammeln. Daher ging es für mich und meine Freundin (heute meine Frau und Mutter unseres Sohnes) nach Australien, Neuseeland und Bali. Bepackt mit einem Backpacker Rucksack und einer wertvollen Canon Ixus 4MP Digitalkamera wollten wir die Welt bereisen (ein Smartphone?  Fehlanzeige!). Die Kriterien bei der Auswahl der Zielorte:

  • möglichst weit weg
  • Wasserfälle (ziehen mich an, seit ich ein Kind bin)
  • tolle Strände
  • Wind, Wasser, Wellen, um meine Hobbies (Wassersport in all seiner Vielfalt) auszuleben.

Australien hat mich vom ersten Augenblick begeistert. Die Strände sind noch schöner als in den Katalogen, die Menschen unglaublich offen, freundlich und hilfsbereit und die Tierwelt so aufregend anders. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als mich in dieses Land zu verlieben.

Zusammen mit meiner Frau bereiste ich die komplette Küste Australiens. Ein Road Trip, den ich nie vergessen werde. Das Tolle daran war, dass das Wasser, die Wellen und die Strände immer zum Greifen nah waren. Die Bedingungen für mich als Wassersportler optimal.

So ist es durchaus verständlich, dass ich nach einem Angebot als Surf- und Segellehrer in West-Australien zu arbeiten ins Grübeln kam: „Kann das meine Zukunft sein?“ Mein erster Gedanke: „Ja!“ Das Hobby zum Beruf zu machen war seit Jahren mein Traum. Jetzt lag mir auch noch das Paradies zu Füßen. Außerdem hatte ich eine genaue Vorstellung davon, wie es ist, als Surf- und Segellehrer zu arbeiten. Ich hatte bereits in meinen Sommerurlauben Erfahrungen an der Ostsee sammeln können. Im Prinzip sprach alles dafür, mein Visum in Australien für vier Jahre zu verlängern – vielleicht sogar auszuwandern.

Dass es anders gekommen ist, hatte verschiedene Gründe.

  1. Emotionalität: Meine Frau ist ein Familienmensch und hätte sich 2006/2007 nicht vorstellen können am anderen Ende der Welt, weit weg von den Liebsten, zu leben. Ich konnte mir nicht vorstellen, meine Frau für einen Traum zu verlassen. Eine Fernbeziehung auf diese Distanz war undenkbar.
  2. Unsicherheit: Durch mein familiäres Umfeld wurde ich sehr auf Sicherheit gepolt. So war auch die Entscheidung eine Ausbildung als Bankkaufmann zu starten nicht meine eigene. Am anderen Ende der Welt, ohne große finanzielle Mittel, als Surf- und Segellehrer zu arbeiten, ist alles andere als eine sichere Zukunftsgestaltung.
  3. Mut: Als weiteren Punkt muss ich letztendlich auch fehlenden Mut nennen. Ein neues Land, eine neue Sprache, geringe finanzielle Mittel und kein soziales Umfeld vor Ort hätten mich vermutlich nicht ruhig schlafen lassen.

Unsere Reise wurde daher wie geplant fortgesetzt. Nach Hause mitgenommen habe ich die Liebe zur Sprache (Englisch) und die Erkenntnis, Lehrer (dann halt ohne Surfen und Segeln) werden zu wollen. Leuten etwas beizubringen, sie von einer Sache zu begeistern ist sowohl für Surf- und Segellehrer als auch für Lehrer am Berufskolleg Kern der beruflichen Tätigkeit.

Zum Fach Englisch gesellten sich durch mein Wirtschaftslehre/Politik-Studium noch die Fächer Volkswirtschaftslehre, Gesellschaftslehre und Politik. Geblieben ist die Liebe zum Reisen. Ein Grund, warum sich mein Studium enorm gezogen hat.

Heute bin ich über alle meine Entscheidungen sehr glücklich, auch wenn ich ehrlicherweise manchmal denke: „Was wäre, wenn?“

 

Bilder: Privataufnahmen von Christian Schwarte