Schule lebt II

FridaysForFuture. Ein Briefwechsel

von Nils Henning und Herrn Dr. Böseler.

 

 

Sehr geehrter Herr Böseler,

 

hiermit möchte ich mich für den kommenden Freitag in der 3. und 4. Stunde von Ihnen für den Unterricht im Fach Erziehungswissenschaften beurlauben lassen.

 

Das möchte ich gerne begründen:

 

1.       Durch die Genehmigung würde die Schule zeigen, dass sie wirklich hinter den FridaysForFuture-Demos und somit auch hinter den eigenen Schülern, welche sich für ihre Zukunft einsetzen, steht. Dieser Rückhalt würde die Regierung weiter unter Druck setzen und somit zu einem schnelleren Handeln der Politiker führen, was auch bedeuten würde, dass die Schüler*innen schneller aufhören könnten zu demonstrieren und sie sich keine Sorgen mehr um ihre Zukunft machen müssten.

 

2.       Die Schule bringt den Schülern*innen bei, dass sie in einer Demokratie leben und somit das Recht haben, mitzubestimmen. Dies muss die Schule dann aber auch in der Praxis zeigen. Durch Sanktionen wie z.B. unentschuldigte Fehlstunden haben einige Schüler*innen nicht nur zuhause Probleme mit ihren Eltern, sondern werden auch möglicherweise später bei der Jobsuche benachteiligt. Die Schüler*innen werden also benachteiligt, weil sie das in Anspruch nehmen wollen, was ihnen eigentlich in der Schule beigebracht wurde. Die Schule sollte also auch das einhalten, was sie den Schüler*innen beibringt, um nicht die Glaubwürdigkeit zu verlieren.

 

3.       Es ist richtig, dass die Schüler*innen eine Schulpflicht haben. Allerdings darf man nicht vergessen, dass dieser Schulpflicht auch die Meinungs-, Versammlungs- und Handlungsfreiheit gegenüberstehen, welche ebenfalls alle drei im Grundgesetz stehen. Diese Rechte müssen also gegeneinander abgewogen werden. Die Landesregierung hat außerdem gesagt, dass die Beurlaubung für die Demonstrationen oder z.B. ein Klassenausflug zur Demonstration möglich sei, was bedeutet, dass die Schule dies auch in Anspruch nehmen könnte. Wenn man sich außerdem ansieht, für welche Veranstaltungen einige Schulen sonst so beurlauben (z.B. für Sportveranstaltungen wie Fußballspiele), so finde ich, dass man auch für die Demonstrationen entschuldigen sollte, damit sich die Schüler*innen für ihre Zukunft einsetzen können und auch in der Praxis lernen, wie unsere Demokratie funktioniert.

 

Ich denke, dass gerade Sie als Lehrer für die Fächer Erziehungswissenschaften und Politik/Geschichte unser Anliegen unterstützen und meinem Wunsch nach Beurlaubung nachkommen werden.

 

Viele Grüße,

 

Nils Henning

 

 

 

 

Lieber Nils,

 

leider kann (und will) ich Ihrem Antrag auf Beurlaubung vom Unterricht im Leistungskurs Erziehungswissenschaften nicht entsprechen. Sieht man einmal davon ab, dass ich der falsche Ansprechpartner bin (wenn Sie unbedingt beurlaubt werden wollen, sollten Sie sich an Klassenlehrerin bzw. Schulleiterin wenden), möchte ich Ihnen gerne meine Gründe für meine ablehnende Haltung erläutern. Ich denke, wir sollten zwei Dinge einmal deutlich voneinander unterscheiden.

 

1.       Damit eins ganz klar ist: Ich glaube, Sie haben jedes Recht für Ihr Anliegen zu demonstrieren. Persönlich könnte ich beinahe jede Ihrer Forderungen unterschreiben. Ihre Generation wird – im Gegensatz zu unserer - nicht davon ausgehen können, dass sie es einmal besser haben wird als die ihrer Eltern. Was unsere Generation Ihrer Generation hinterlassen wird, ist ein Trümmerhaufen, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir sind drauf und dran den Planeten vollständig zu ruinieren. Und Sie werden mit den Folgen klarkommen müssen. Der Klimawandel ist in vollem Gange und man hat den Eindruck, unsere Politiker suchten jedes Schlupfloch, damit wir beim Energiesparen bzw. dem Schadstoffausstoß nicht Ernst machen müssen. Und lassen Sie sich auch nicht von Argumenten auf Stammtischniveau beeinflussen, die Schüler*innen sollten in ihrer Freizeit demonstrieren bzw. streiken. Haben Sie schon einmal erlebt, dass Lokführer, Piloten oder andere Arbeitnehmer außerhalb ihrer Arbeitszeit gestreikt haben? Das wäre ja geradezu widersinnig.

 

2.       Das hat aber alles nichts mit einer Beurlaubung zu tun. Als Schule sind wir verpflichtet, Sie zu mündigen Staatsbürgern zu erziehen. Ich will Sie nicht langweilen, aber ich zitiere hier mal den § 2 Abs. 4 des Schulgesetzes. Da steht, ähnlich wie in Artikel 7 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen: „Die Schule [...] fördert die Entfaltung der Person, die Selbstständigkeit ihrer Entscheidungen und Handlungen und das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl, die Natur und die Umwelt. Schülerinnen und Schüler werden befähigt, verantwortlich am sozialen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, beruflichen, kulturellen und politischen Leben teilzunehmen und ihr eigenes Leben zu gestalten.“

 

Nils, Sie argumentieren mit dem Grundgesetz: Also, Artikel 2 betont: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Sie sehen das offensichtlich als gefährdet an. Dazu gibt es den Artikel 20a, wonach es Aufgabe des Staates ist, „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen“ zu schützen. Hier erkennen Sie Versäumnisse. Artikel 8 sagt: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“

 

So what? Was möchten Sie von mir? Verfassungsrecht ist unmittelbar geltendes Recht. Mir ist nicht bekannt, dass man sich für das Eintreten für seine Grundrechte entschuldigen oder gar beurlauben lassen muss. Und eine Altersbegrenzung lese ich auch nicht. Wenn es um Fragen des ungeborenen Lebens geht, da ist man in Deutschland ja sogar bereits vor der Geburt geschützt.

 

Nur, Demokratie gibt es nicht zum Nulltarif. Jede demokratische Forderung muss erkämpft und durchgesetzt werden. Man kann nicht nur fordern, sondern muss auch Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Das heißt, man steht dafür ein ... und muss in einer Auseinandersetzung möglicherweise auch die Folgen tragen. Das bedeutet konkret, dass Sie auch eventuelle Sanktionen mit einkalkulieren. Das gehört mit zu Mündigkeit. (Oliver Kahn hat dafür andere Formulierungen.)

 

Sie werfen uns (also unserer Generation) vor (und zwar wohl nicht zu Unrecht), wir hätten mit Blick auf die nächsten Generationen versagt, die Probleme ignoriert, falsche Entscheidungen getroffen und Lösungen verzögert. Und nun kommen Sie und fragen uns um Erlaubnis, dagegen zu protestieren?

 

Zusammengefasst: Wenn wir als Lehrer*innen und als Schule  nur halbwegs erfolgreich unseren Bildungsauftrag wahrgenommen haben, dann brauchen Sie uns als Schüler der Sekundarstufe II nicht zu fragen, dann entscheiden Sie selbst , was für Sie richtig und falsch ist, welche Ziele Sie mit welchen Mitteln verfolgen – im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung natürlich. Um es mit den Worten von Barack Obama zu sagen:

Mit freundlichen Grüßen

 

Ihr

 

Dr. Uwe Böseler

 

Was nun? Es ist zu hoffen, dass Nils nun mit dem Segen, aber ohne amtliche Zustimmung des Erziehungswissenschafts-Lehrers am Freitag zur Demonstration gehen wird (die Redaktion).