LehrerInnen denken I

Deutsch für Flüchtlinge - ein Anfang mit Überraschungen

 

Von Eva Andreo Garcia und Eva Weskamp

 

Wenn Tausende von Menschen in Not sich auf den Weg nach Deutschland machen, dann will sich auch die Hildegardisschule als bischöfliche Schule nicht heraushalten, und so war schnell die Idee geboren: Wir möchten helfen.

Leichter gesagt als getan:

 

Erste Schritte: Unser Schulleiter Herr Köster lud interessierte Kolleginnen und Kollegen ein, darüber zu beraten, was wir an der Hildegardisschule tun könnten, um zu helfen. Wie setzen wir unsere Ressourcen sinnvoll ein? Welche Schritte müssen zuerst getan werden? Klar ist: Die Neuankömmlinge müssen unsere Sprache lernen. Das Generalvikariat informierte darüber, wie die Deutschkurse organisiert werden sollten. An Material, Räumlichkeiten und Medien sollte es nicht fehlen, und auch an freiwilligen Lehrkräften herrschte kein Mangel. Es konnte also endlich losgehen. So standen zwei Lehrpersonen hoch motiviert und gut vorbereitet an einem Dezembernachmittag erwartungsvoll am Schuleingang, um ihre neuen Schülerinnen und Schüler zu begrüßen: Doch wo war der Ansturm? Nur vier Menschen wollten an unserem Unterricht teilnehmen. Was war da los? Da hat es wohl das erste Kommunikationsproblem gegeben. Mit Hilfe von Schwester Christa und Frau Sammtleben, die persönlich die Abholung der Schüler organisierten, trudelten dann weitere Teilnehmer/innen ein, Frauen mit Kinderwagen, Kinder im Kindergartenalter, barfuß in leichten Sandalen, Familien. Nach einer kurzen Begrüßung durch unsere stellvertretende Schulleiterin Vera Brox startete endlich unsere erste Unterrichtsstunde. Zweimal wöchentlich 90 Minuten, das war unser Ziel.

 

Rückschritte: Doch irgendetwas lief falsch: Schon in der zweiten Woche blieb ein Großteil der Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus, in der dritten Woche kam niemand mehr.

 

Fortschritte: Nach einer Denkpause versuchten wir es mit Hilfe von Herrn Said Samar, Beauftragter der Flüchtlingshilfe, erneut. Und endlich lief es rund: Zweimal wöchentlich strömten nun alte Menschen, die sicher auch in ihrem Heimatland selten ein Buch in den Händen gehalten hatten, junge Männer und Frauen, teils Studierende und Akademiker, teils Handwerker oder Bauern sowie Schüler und auch jüngere Kinder in die Hildegardisschule, und dies oft schon zwei Stunden vor Unterrichtsbeginn. Rosa, langjährige Raumpflegerin unserer Schule, erwies sich hier als gute Informationsquelle: „Vier warten schon seit einer Stunde!“ oder: „Es ist kalt. Die Kinder haben gar keine Socken zum Anziehen!“, warnte sie uns vor.

 

Gut war es, die Gruppe aufzuteilen. So übernahm ein pensionierter Kollege eines anderen Berufskollegs die Kinder und Schüler/innen, die das lateinische Alphabet nicht beherrschten, und wir befassten uns mit den „Fortgeschrittenen“. Was aber sind „Fortgeschrittene“?

 

Als gestandene Deutschlehrerinnen fühlen wir uns in unserer Muttersprache zwar sicher, aber wie erklärt man, dass es im Deutschen nicht nur zwei, sondern drei Geschlechter gibt, zumindest grammatisch? Da ist ein Gegenstand wie eine Tür nicht nur weiblich, nein, sie wechselt auch noch das Geschlecht, sobald man an derselben steht. Was sind starke, was schwache Verben? Alle Berufe gibt es tatsächlich für beide Geschlechter? Was ist mit den Präpositionen? So war die Frage „Warum?“ die am häufigsten gestellte. Gefragt war nicht nur grammatisches Wissen, sondern auch schauspielerisches Talent, denn so manches Mal musste mit Händen und Füßen gezeigt werden, was gemeint war. Ungläubiges Staunen und manches erschrockene Gesicht zeigten uns zuweilen, dass auch die Körpersprache ihre Tücken hat. Auch kulturelle Barrieren mussten erkannt und überwunden werden: Zeit ist uns Deutschen bekanntlich heilig, und wenn der Unterricht von 16.00 bis 17.30 Uhr dauerte, dann war das auch genauso gemeint. Oder: Wenn wir einer Frau eine Frage stellten, dann meinen wir auch diese Frau und nicht einen ganzen Männerchor, der die Frage gern selbst beantworten wollte. Sicherlich haben auch wir zu manchem Befremden beigetragen, das uns höflich verschwiegen wurde.

 

Fazit: Wir haben viel voneinander gelernt und wechselseitig Einblicke in die jeweils andere Kultur gewonnen. Dankbar sind wir für das Vertrauen und die Offenheit der Flüchtlinge: So erklärten sie sich mit ihrem Dolmetscher Herrn Samar auch sofort bereit, vor Schülerinnen und Schülern der Differenzierungskurse Literatur und Theater über ihre Erlebnisse, Hoffnungen und Ängste zu sprechen. Unsere Schüler/innen wiederum setzen sich mit dem Gehörten im Buch und auf der Bühne einfühlsam auseinander.

 

Den letzten Unterrichtstag begingen wir mit Kaffee und Kuchen, um einen würdigen Abschluss zu finden. Weshalb sich aber nach Rosas Berichten noch Wochen danach regelmäßig vereinzelte Flüchtlinge, mit und ohne Kinderwagen, zu den alten Unterrichtszeiten in den Räumen einfanden, das bleibt wohl ein Geheimnis…..